Viel neues gibt es noch nicht zu berichten aus der Go-Welt – wie jedes Jahr, so regt sich auch 2013 das Go-Leben erst mit dem Essener Go-Turnier so richtig wieder. (Das findet übrigens am Wochenende statt – 12./13. Januar – und ist auf jeden Fall einen Besuch wert!)
Daher schaue ich heute mal zurück in die Geschichte … weit zurück, bis ins Jahr 1598. Das ist das gemeinsame Todesjahr zweier sehr verschiedener Menschen: des japanischen Herrschers Toyotomi Hideyoshi und des italienischen Schachspielers Paolo Boi.
Hideyoshi war einer der drei Kriegsherren, unter denen Japan um 1600 nach endlosen Bürgerkriegen unter einer Herrschaft vereinigt wurde und zur Ruhe kam; wie die beiden anderen, Oda Nobunaga und Tokugawa Ieyasu, war er ein großer Go-Liebhaber, spielte selbst und ließ zum Beispiel 1588 ein Turnier ausrichten, bei dem zum ersten Mal systematisch Dan-Grade vergeben wurden, also genau die Einstufungsart, nach der auch heute noch Ränge vergeben werden.
Auch die staatliche Förderung des Go, die unter Hideyoshis Nachfolger Tokugawa festgeschrieben wurde und das japanische Go in den folgenden Jahrhunderten auf ungeahnte Höhen brachte, begann mit diesem Turnier! Gewonnen hat es Nikkai, ein buddhistischer Mönch, der sich später Honinbo Sansa nannte und das erste Oberhaupt der Honinbo-Schule wurde.
Europa statt Japan, Schach statt Go – und ein Perspektivwechsel, vom Herrscher zum Spieler: Boi erlebte das Verhältnis zwischen Fürst und Spieler von der anderen Seite. Die Herrscher Europas waren nicht weniger an Schach interessiert als die Japans am Go, und so kam es zum Beispiel 1574/1575 am Hofe des schachbegeisterten spanischen Königs Philipp II. (der mit der Armada; oder der, der im schillerschen „Don Karlos“ herumgeistert) zu einem Treffen der besten Spieler Italiens und Spaniens. Die Italiener blieben Sieger, doch Boi musste sich auch seinem Landsmann Giovanni Leonardo beugen …
Und auch wenn sich die Fürsten bei solchen Gelegenheiten nicht lumpen ließen, konnte von einer systematischen Förderung doch keine Rede sein; die Schachmeister zogen von Land zu Land, Stadt zu Stadt und Fürst zu Fürst (Boi und Leonardo reisten zum Beispiel von Madrid weiter nach Lissabon, um vor König Sebastian zu spielen, auch der ein Schachfreund erster Güte), doch das Schachniveau stieg auf diese Weise nur sehr langsam.
So kam es, dass Anfang des 19. Jahrhunders die europäischen Schach-Meister noch Partien spielten, die im 21. Jahrhundert selbst mittelguten Amateuren die Haare zu Berge stehen lassen; während zur selben Zeit in Japan die Go-Meister Werke von höchstem Wert schufen, die auch heute noch bewundert werden.
Das folgende Diagramm stammt aus einer 1814 gespielten Partie. Weiß hat Honinbo Jowa, ein Nachfolger des schon genannten Honinbo Sansa; Schwarz spielt sein großer Rivale, Gennan Inseki.
Weiß hat gerade unten links, also in dem Brettbereich, in dem es ungewöhnlich leer aussieht, mit einem Zug 34(!) schwarze Steine geschlagen – ein ziemlich seltener Vorgang! Da das Thema dieses Beitrags der „Blick in die Vergangenheit“ ist, hier eine kleine Aufgabe, die diesem Thema gerecht wird: Welcher der an dem Umzingeln und Schlagen der schwarzen Steine beteiligten weißen Steine ist der Stein, mit dem die schwarze Gruppe geschlagen wurde – der Stein, der der schwarzen Gruppe die letzte Freiheit genommen hat?! Die Antwort gibt es dann nächste Woche.
Aber noch einmal zurück ins 17. Jahrhundert zu Honinbo Sansa, Paolo Boi und Giovanni Leonoardo: Während der japanische Go-Meister 1623 eines natürlichen Todes starb, wurden die beiden italienischen Schach-Meister ermordet, genauer gesagt vergiftet! Leonardo im Jahre 1587, Boi, wie gesagt, 1598; beide in Neapel. Auch in dieser Hinsicht hat die europäische Schachwelt seitdem Fortschritte gemacht, scheint mir …